Von
wissenschaftlichen Tieffliegern und Fruchtfliegen
Wer kennt sie nicht die niedlichen kleinen menschenähnlichen
Dinger, die sich in unserer Obstschale schamvoll ihren doch häufig
auch abweichenden sexuellen Lüsten hingeben, Und in denen wir uns
wie in unserem Spiegelbild wiedererkennen. So oder ähnlich werden
Fruchtfliegen wohl von den ForscherInnen betrachtet, die sich berufsmäßig
mit ihnen befassen, zumindest wäre dies konsequent entsprechend
der auch sonst dort üblichen Vermenschlichung von Fruchtfliegen.
Die Fruchtfliege Drosophila Melanogaster ist
seit mehr als 90 Jahren zentraler Forschungsgegenstand der Evolutionsbiologie,
Verhaltensforschung und der Genetik von ihren frühesten Anfängen
bis zur Gegenwart. In der Drosophilaforschung wurden durch die sich
selbst Drosophilisten oder Fly-People nennenden NaturwissenschaftlerInnen
wesentliche Teile der modernen Genetik entwickelt. Sie ist der Modellorganismus
der Genetik schlechthin. Auch heute forschen einige tausend BiologInnen
weltweit ausschließlich zu Drosophila Melanogaster.
Die Drosophilaforschung bestimmt dabei wesentliche
Aussagen der Genetik auch bzgl. des Menschen.
So wird heute an der Fruchtfliege die 'genetische
Festlegung' der 'sexuellen Orientierung' 'erforscht', d.h. ein beliebter
Forschungsgegenstand sind 'schwule und intersexuelle'
[1] Fruchtfliegen, NaturwissenschaftlerInnen versuchen an Hand
der Fruchtfliege die genetischen Dispositionen für Aggressivität
und Schizophrenie [2]
beim Menschen zu 'klären', und die 'genetischen Ursachen' für
Hyperaktivität 'herauszufinden', d.h. hier wird zu 'hyperaktiven'
[3] und 'aggressiven' [4] Fruchtfliegen geforscht. Mensch wundert sich nur, daß nicht
auch versucht wird einen Zusammenhang zwischen Linksflügeligkeit
und sexueller Orientierung bei der Fruchtfliege herzustellen. Im
Vergleich zu dieser Vermenschlichung des Verhaltens von Fruchtfliegen
ist Brehms Thierleben (1876 - 1879 Hilburghausen) zweifelsohne noch
eine kritisch wissenschaftliche Glanzleistung.
Die Fruchtfliege wird vor allem deshalb als
Labortier verwendet, weil sie für die WissenschaftlerInnen gleich
mehrere Vorteile bietet;
aufgrund ihrer kurzen Generationenfolge
(14 Tage) und hohen Fruchtbarkeit sind populationsgenetische Untersuchungen
einfach,
sie hat übergroße (polytene) Chromosomen
im abgeschlossenen Entwicklungsstadium der Larve, die ein mehre
hundertfaches der normalen Größe besitzen und unter einem normalen
Mikroskop untersucht werden können, außerdem sind sie in Phasen
sichtbar in denen sonst Chromosomen nicht betrachtet werden können,
sie ist billig und einfach zu halten,
der Embryo wächst außerhalb des Körpers
und ist einfach zu untersuchen,
der Embryo ist im Frühstadium aufgrund
der für die Fruchtfliege spezifischen Entwicklung einfach zu manipulieren,
das Genom der Fruchtfliege ist im Verhältnis
zu anderen Tieren relativ klein, d.h. überschaubar.
Trotzdem konnten bis heute die wenigsten Fragen
abschließend geklärt werden.
Wichtig ist zu begreifen, daß Drosophila Melanogaster
nicht deshalb, zum zentralen Forschungsgegenstand geworden ist,
weil die Fruchtfliege in ihrer Entwicklung so typisch für alle Lebewesen
ist, sondern aus reinen Gründen der Forschungspragmatik. Vergleichbar
wäre das mit SozialwissenschaftlerInnen, die eine statistische Untersuchung
durchführen, die die Auswahl der Interviewten nach dem Gesichtspunkt
der eigenen Bequemlichkeit betreiben würden. Z.B. SozialwissenschaftlerInnen,
die für eine Wahlvoraussage die MitbewohnerInnen der eigenen StudentInnen-WG
befragen würden. Das Ergebnis einer solchen Befragung würde wohl
niemand besonders beachten, die Fliegenforschung, obwohl bzgl. ihrer
Aussagen über menschliches Verhalten wissenschaftlich noch weitaus
fragwürdiger, bildet hingegen, wie ausgeführt, die Grundlage der
modernen Genetik. [5]
An der Drosophilaforschung wird eines der Grundprobleme
der Grundprobleme der Soziobiologie und Genetik deutlich, komplexe
menschliche Verhaltensweisen (z.B. Aggressivität, sexuelle Orientierung)
werden willkürlich irgendwelchen tierischen Verhaltensmustern zugeordnet
und dabei gleichzeitig extrem reduziert betrachtet [6] . Von schwulen oder aggressiven Fruchtfliegen
im menschlichen Sinn zu reden ist absurd. Vergleichbar wäre dies
damit wenn ich als Psychologe Fruchtfliegen auf die Couch einer
Interspezies-Psychoanalyse legen würde. Wenn ich aber wissenschaftlich
untersuchen würde, was die Spinnenphobie der Fruchtfliege mit ihrem
Ödipuskomplex und den jungschen Archetypen zu tun hat, würde mich
wohl jede/r für verrückt erklären
[7] . Obwohl manche homophobe Aussage der Psychoanalyse eher
auf Fruchtfliegen als auf Menschen zutreffen dürfte.
In der soziobiologistischen Drosophilaforschung
sind solche Forschungsansätze aber wie ausgeführt üblich. Und dies
ist auch nicht nur harmloser Unsinn, diese Art kurzschlüssiger Schlußweisen,
wie sie heute immer noch in der Drosophilaforschung alltäglich sind,
stellte Anfang des Jahrhunderts die Grundlage der faschistischen
Rassenbiologie dar.
Und auch heute wird in der Bildzeitung nicht
getitelt "Gen für schwule Fruchtliegen entdeckt", sondern
"Schwulengen entdeckt". Wobei die Absurdität schon in
der Behauptung liegt es gäbe im menschlichen Sinn eine sexuelle
Orientierung von Fruchtfliegen mit entsprechenden subkulturellen
sexuellen Indentitäten (Diese Fruchtfliege steht auf SM). Und nur
diese Gleichsetzung komplexer menschlicher Lebensentscheidungen
mit extrem vereinfachten und in der Beobachtung weiter reduzierten
tierischen Verhaltenweisen macht überhaupt eine noch dazu sehr wage
statistische Kopplung mit sogenannten genetischen Faktoren möglich.
Die gesamte soziobiologistische Genetik ist auf dieser Grundlüge
aufgebaut.
Selbst ein Mensch, die/der sich einbildet eine
Fruchtfliege zu sein, wird noch erhebliche Verhaltensabweichungen
gegenüber Fruchtfliegen aufweisen.
Fin
[1] siehe z.B.: Richard Horton - "Is homosexuality
inherited?"- http://www.pbs.org/wgbh/pages/
frontline/shows/assault/genetics/
nyreview.html
oder; Shang-Ding Zhang and Ward F. Odenwald
- "Misexpression of the White (w) Gene Triggers Male-male
Courtship in Drosophila" - in: Proceedings of the National
Academy of Sciences - USA, Vol. 92 (June 6, 1995), pp. 5525-5529
und; "Neuronale Lokalisation von Aspekten
homosexuellen Verhaltens bei Drosophila melanogaster" - http://neuro.biologie.uni-freiburg.de/
Skriptum/sexyflies.htm
[2] siehe z.B.: http://www.utsa.edu/marc/pages/
mentors/mlundell/marthaj.htm
[3] siehe z.B.: Vincenco de Luca
u. a. - "A Drosophila Model for Attention Deficit Hyperactivity
Disorder (ADHD) : No Evidence of Association with PRKG1 Gene"
- in: NeuroMolecular Medicine - December 2002, Volume 2, Issue
3, pps. 281-288 - http://biomed.humanapress.com/
ArticleDetail.pasp?issn=1535-1084
&acode=NMM%3A2%3A3%3A281
Der Begriff Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom
(ADHD) wird hier definiert als Verhalten von Fliegen die immer
von Futterplatz zu Futterplatz fliegen und nirgends lange sitzen
bleiben.
[4] A.C. Edwards, T.F.C. Mackay. Genetics, North Carolina
State Univ., Raleigh, NC. - "The genetic architecture of
aggressive behavior in Drosophila melanogaster." - http://www.drosophila-conf.org/genetics/
dros04/dros04s/f818B.htm
Im Artikel heißt es wörtlich: "Behavioral
research is an important component of human health studies, in
that many health problems incurred are directly or indirectly
related to or typified by specific behaviors. Drosophila melanogaster
is a model organism for many behaviors, in part because flies
can be easily manipulated for classical genetic studies and more
technologically advanced approaches. In addition, many biological
processes in flies are homologous to those in humans; such is
the case for neurological pathways involved in behavior. Aggression
is one such behavior, and an assay has been developed to quantify
subtle differences in aggression among lines of flies with distinct
genetic backgrounds."
[5] Auch durch die soziobiologistische Forschung an
'höheren' Säugetieren wird dieses Problem nicht geringer. Ist
doch die Deutung der Verhaltensweisen dieser Tiere immer eine
Frage menschlicher Interpretation und Projektion. Die selben tierischen
Verhaltensweisen wurden im Lauf der Geschichte und in Abhängigkeit
vom kulturellen Hintergrund ganz unterschiedlich interpretiert.
Diese Interpretationen tierischen Verhaltens geben insofern eher
Aufschluß über die kulturellen Hintergründe der Forschenden als
über die Tiere.
[6] Im Extrem zeigt sich dies in einer Forschungsarbeit
zur Bevölkerungswachstum, dort heißt es wörtlich; "The number
of individuals in a population does not remain static. Rates of birth, death, maturation, etc fluctuate with seasons and resources
( the quality and quantity of food, space, air, predators, etc).
Since it is too time consuming to study the parameters that affect
the dynamics of growth of the human population, Drosophila have
been chosen as the experimental organism."
siehe: Marianne Anderson - "Population
Dynamics of Growth of Drosophila" - http://www.accessexcellence.org/AE/
AEPC/WWC/1991/population.html
[7] Berücksichtige ich aus psychoanalytischer Sicht
die Relevanz des Spiegelstadiums (Jaques Lacan - "Das Spiegelstadium
als Bildner der Ich-Funktion") für die Entwicklung des frühkindlichen
Ichs, ist aus der Sicht eine Interspezies-Psychoanalyse übrigens
sowieso zu erwarten, daß Fruchtfliegen eine schizoide Persönlichkeit
entwickeln, sehen sie sich doch aufgrund ihres Augenaufbaues immer
vielfach gespiegelt.
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